Du bist der Shitstorm
Es ist bedauerlich zu beobachten, wie manche Situationen entgleisen und wie dann „Position“ bezogen wird. Dabei geht es den meisten Menschen im Grunde um ein respektvolles Miteinander. Ich persönlich bringe viel Verständnis auf für alle Seiten einer Auseinandersetzung, beobachte jedoch immer häufiger wie einer ursprünglich gemäßigten Persönlichkeit eine extreme Handlung entspringt. Das lässt mich regelmäßig grübeln und hinterlässt viele Fragen.
Ich selbst sehe mich seit vielen Jahren als Teil der fantastischen Szenen in welchen sich allerlei unterschiedlichste Charaktere bewegen. Ebenfalls bin ich Teil der Furry-Szene und kenne durchaus deren Glanzleistungen, aber auch deren Abgründe. In erster Linie bin ich Mensch, einer derjenigen dieser Spezies der bemüht ist alle Spielarten des Seins zu respektieren und Toleranz gegenüber dem zu üben was neu, ungewohnt, unbekannt oder gar fremd ist.
Rückblickend auf die letzten 20 Jahre (Stand 2017) habe ich jedoch in allen Bereichen von Interessengemeinschaften, Szenen, Fandom‘s oder wie auch immer sie genannt werden mögen, vergleichbare Dramen, Diskussionen und Konflikte kennengelernt – auch am eigenen Leib. Selbst der normale Alltag innerhalb des deutschen Vereinswesens stellt keine Ausnahme dar.
Anfeindungen und Denunzierungen musste ich schon mehrfach über mich ergehen lassen und stand wiederholt vor der Aufgabe, Frust und Wut in mir zu besänftigen. Selbst die anscheinend harmlosesten Dinge führten zu Konflikten, seien es meine Zugehörigkeit zu einer beliebigen Interessensgruppe oder das Veröffentlichen eines Buches. Gleich worum es dabei ging musste ich mich verteidigen und fast immer erkannte ich Gemeinsamkeiten. Die aus meiner Sicht häufigsten, Probleme liegen im pauschalisieren und in einer allzu oberflächlichen Betrachtungsweise einer Sache – was sicher nicht überraschend ist. Vor allem dann, wenn das Gegenüber nur wenig Einblick in eine Thematik hat. Einblicke zu erhalten kostet jedoch Zeit und wer nimmt sich diese heutzutage noch? Selbstredend verlange ich nicht von jedem ein Studium zu jeder Thematik, doch ohne Kenntnisse von Hintergründen oder dem Verstehen von Zusammenhängen kann keine gesunde, konstruktive Auseinandersetzung stattfinden. Wenn man das weiß, kann (oder sollte) man sich entsprechend verhalten Verhalten (nein, das ist kein Tippfehler).
In den meisten Konflikten gibt es keine Gewinner, denn die Beteiligten sind mehr oder weniger alle Opfer der Situation. Einer friedlichen Lösung und dem gemeinsamen Frieden stehen oft die zu ausgeprägten Egos der Beteiligten im Weg – das ist durchaus menschlich. Dabei übersehen die Kontrahenten gerne die Gemeinsamkeiten. Im Grunde geht es immer nur um das „Recht behalten“ oder „Recht bekommen“, und ab einem gewissen Zeitpunkt „zu jedem Preis“. Zielführend ist das kaum. Und wenn jemand in der Lage ist „Macht“ auszuüben, dann erlebt man schnell das, was ich eingangs erwähnte: Eine extreme Handlung.
Vielen Streitfällen zugrundeliegendes Schubladendenken und die Verallgemeinerungen treffen nicht nur den direkten Kontrahenten oder einige wenige Beteiligte, sondern sehr oft eine ganze Gemeinschaft. Der Großteil dieser Gemeinschaften ist jedoch ursprünglich unbeteiligt, nicht Teil des Konfliktes und zeigt zudem gänzlich andere Verhaltensweisen und Gewohnheiten als die in den Konflikt verwickelten. Automatisch – soweit die Diskussion größere Kreise zieht – fühlen sich die unbeteiligten sogleich ebenfalls angegriffen oder zumindest missverstanden. Auch fühlen sich dann viele in eine Ecke gedrängt in welcher sie sich nicht sehen. Wenn dann Unreflektiertheit und Impulsivität hinzukommen wird es schmutzig. Das Resultat ist das, was man heute täglich in sozialen Medien, aber auch in der Gesellschaft allgemein erleben kann: Der Shitstorm!
In all den Jahren mit all den Einblicken in verschiedene Szenen, Gemeinschaften und Gesellschaftskreise habe ich eine klare Erkenntnis erlangt: Hilfreich ist dieses Verhalten praktisch nie. Nur selten bewirkt es eine konstruktive Veränderung die allen Zuträglich ist. Was fast immer zurückbleibt ist eine sich ungerecht behandelte Gruppe von Personen, die eine verhärtete Front gegenüber dem vermeintlichen Aggressor bildet. Skurriler weise ist das auf allen Seiten identisch. Somit muss man sich fragen was ein solches Verhalten einbringt. Denn das ursprüngliche Miteinander und der Wunsch nach gegenseitigem Respekt, Gleichberechtigung und Fairness bleibt dann etwas, das man nur noch für die „eigenen Kreise“ versteht. Man reduziert ein „richtig“ auf einen Teilbereich der Gesellschaft. Das ist keine Toleranz, das ist Abgrenzung. Abgrenzung führt jedoch in die falsche Richtung.
Was Menschen Gruppen bilden lässt ist der Gemeinschaftssinn und ist manchmal auch ein Weg heraus gesellschaftlichen Abgrenzung einzelner. Als SciFi-Fan, Fantasy-Fan, Gothic, „Nerd“, Schlager-Fan, Furry, oder Veganer (um nur Beispiele zu nennen) wird man sehr oft belächelt, als Spinner abgetan, abgegrenzt. Genau deshalb finden sich Menschen zusammen, bilden Interessensgemeinschaften und genau das spiegelt sich auch in den Geschichten dieser Gedankenwelten wieder. Es ist ein urmenschliches Bedürfnis. Es sollte nicht Eigenschaft dieser Gemeinschaften sein andere Gemeinschaften aufgrund der gewonnenen gemeinsamen Stärke wiederum schlecht zu reden oder der Lächerlichkeit Preis zu geben. Das ist falsch und moralisch fragwürdig.
Jede Gruppe besteht aus positiven, neutralen und negativen Individuen. Statistisch betrachtet vermutlich nach Gauß-Normalverteilung. Die besonders „lauten“ Individuen beliebiger Gruppen gehören dann meist zur negativen Sorte und prägen somit bei anderen eine starke Außenwirkung. Dies bringt nicht selten die gesamte Gruppe in Verruf. Solche Bilder wieder richtig zu stellen ist schwierig, vor allem dann, wenn sich die Vorfälle wiederholen. Thematisch unbeteiligte einer Gruppe sind dann mit der Zeit entnervt, sich regelmäßig verteidigen und Dinge richtigstellen zu müssen. Oft ist dies dann gar nicht zu realisieren, da die Meinung auf die man trifft verhärtet ist. Selbst wenn die Wahrnehmung nicht der Realität entspricht, so leiden dennoch tausende Menschen darunter. Da ist es ein schwacher Trost, dass die Ursache von nur wenigen „Lauten“ ausging.
Das Ursache/Wirkungs-Prinzip spielt den Menschen hier oft übel mit, denn es wirkt umso verstärkend, je kontroverser ein Thema diskutiert wird. Die Pauschalisierung kann dadurch schnell tausende, gar Zehntausende oder mehr in Verruf bringen, ohne dass diese jemals etwas „verbrochen“ haben. In einer bekannten SciFi-Serie lautet es sinngemäßes „Nimand ist genau der, der er zu sein Scheint“. Und ebenso lernen wir aus der fantastischen Literatur so einiges über Recht, Unrecht, Unterdrückung und die Heldentaten der Schwachen und der Randgruppen. Wollten und sollten wir das nicht zum Teil unseres Wesens machen? War es nicht immer unser Wunsch uns auf Augenhöhe zu begegnen und alle gemeinsam das Übel zu bekämpfen? Nun, das Übel bekämpft aus eigener Sicht jeder, doch nur selten erkennt man das Übel in sich selbst, in seinem eigenen Handeln und Denken. So auch in den immer wiederkehrenden Konflikten der Gegenwart. Das betrifft jeden, mich, dich, sie, ihn, alle.
Frei dem Motto „Du stehst nicht im Stau, du bist der Stau!“ sollten wir uns ernsthaft – jeder für sich – die Frage stellen, ob die eigene verbissene Haltung und das durchaus vorkommende extreme Handeln nicht genau das ist, was wir an anderen so sehr verabscheuen. Niemand ist frei von Fehlern, jeder pflegt seine Schubladen und sortiert der Bequemlichkeit wegen die Menschen in solche hinein. Doch immer dann wenn einem eine abweichende Meinung, ein Troll, ein Querulant oder ein wie auch immer gearteter verbalaggressiver Mensch entgegen tritt, sollte man sich selbstkritisch betrachten und seine Handlungen und Entscheidungen bewusster und sensibler denn je abwägen. Denn am Ende sind wir dann nicht einfach nur Mensch und Teil einer Gruppe, sondern ein Teil des Shitstorms, ein Teil der Abgrenzung und ein Teil dessen, was eine Community, eine Gesellschaft und die Menschheit als Ganzes negativ verändert. „Wehret den Anfängen!“ sagt ein Geflügeltes Wort, und der Anfang, der liegt bei jedem Selbst.